Alpha-Männer für den Faschismus? Zum Zusammenhang von gekränkter Männlichkeit, Antifeminismus und Rechtsradikalismus

1. In ganz Europa radikalisieren sich junge Männer zunehmend nach rechts. Parteien wie die AfD und faschistische Gruppen wie die Junge Alternative und Identitäre Bewegung appellieren mit ihrer Propagandastrategie gezielt an gekränkte Männlichkeit. Für viele Influencer, Podcaster und „Coaches“ sind Antifeminismus und das Versprechen einer protofaschistischen „Alpha-Männlichkeit“ zu einem ausgesprochen lukrativen Geschäftszweig geworden. Zum Beispiel verbreitet ein gerade unter jungen Männern ausgesprochen beliebter Finanz- und Lifecoach-Podcast regelmäßig gezielt antifeministische und antisemitische Verschwörungsnarrative und wurde deshalb vor kurzem auf TikTok gesperrt. Auch scheinbar unpolitische Streamer oder YouTuber erheitern ihr junges, männliches Publikum regelmäßig mit chauvinistischen Witzen oder gezielten Angriffen auf Feminist*innen. Misogynie und Queerfeindlichkeit werden gerade auch unter jungen Männern zunehmend wieder salonfähig – und dienen regelmäßig als Radikalisierungsfaktor nach Rechtsaußen.

2. Dies ist in einer Angst um den Verlust der patriarchalen Vorherrschaft verwurzelt. Dieser basiert auf der Vormachtstellung aller (vor allem aber cishetero) Männer über alle Nicht-Männer. Auch innerhalb binnenmännlicher Strukturen gibt es unterschiedliche Machtverhältnisse, beispielsweise bezüglich Hautfarbe, Klasse, Sexualität, Cis/Transgeschlechtlichkeit, etc. An der Spitze der Männlichkeitspyramide steht die sogenannte „hegemoniale“ Männlichkeit, also das gesellschaftliche Männlichkeitsideal, das eine enorme Wirkmächtigkeit hat. Der aktuelle „hegemoniale Mann“ ist ein finanziell und sexuell erfolgreicher, charismatischer, sportlicher „Machertyp“, dem die Meinung (und damit auch Gefühle und Bedürfnisse) anderer weitestgehend egal ist. Hier wird auch eine explizit neoliberale Männlichkeitsvorstellung angesprochen – Kapitalismus und Patriarchat sind untrennbar miteinander verwoben. Gerade junge Männer versuchen, diesem Ideal nachzueifern und „richtige“ Männlichkeit zu performen. Das geht einher mit der Abspaltung und Verdrängung von allem Weiblich konnotierten wie Emotionalität, Weichheit, Zärtlichkeit, etc. Dies liegt daran, dass Abweichungen hegemonialer Männlichkeitsvorstellungen mit brutalen Sanktionen einher gehen. Auch wenn Jungen und Männer die Profiteure patriarchaler Gewalt sind – sie leiden auch selbst darunter!

3. Die von Männern praktizierte Abwertung von FLINTA* und „weniger männlichen“ Männern erfolgt sowohl auf struktureller, als auch auf ganz persönlicher Ebene. In patriarchalen Verhältnissen gilt Männlichkeit als Norm („Androzentrismus“), Nicht-Männlichkeit als das deviante „Andere“. Männer sind im Besitz von Produktionsmitteln, auch der Kulturindustrie, die androzentrische Weltbilder, Geschichten und Geschlechtervorstellungen vermittelt. Geschlechtsspezifische Ausbeutung ist den herrschenden Verhältnissen inhärent. Auch sind Politik und Justiz nach wie vor patriarchal geprägt und sollen die Vorherrschaft von Kapitalismus und Patriarchat garantieren. Dies mündet in einem patriarchalen Anspruchsdenken: „Mir stehen aufgrund meines Geschlechts beruflicher Erfolg, eine Partnerin, Anerkennung, etc. zu“. Das bedeutet leider auch, dass die Abwertung des Nichtmännlichen VON KLEIN AUF in der Psychosozialisation von cishetero-Männern angelehnt ist! Misogynie ist keine Angelegenheit von einigen Incel-Terroristen, sondern integraler Bestandteil des Geschlechterverhältnis.

4. Diejenigen, die von patriarchaler Herrschaft profitieren, haben unter anderem deswegen die Tendenz, diese bewusst oder unbewusst zu verteidigen. So findet die von klein auf vermittelte Vorherrschaft und das patriarchale Anspruchsdenken ihren Ausdruck auch immer im Zwischenmenschlichen. Sexistische Witze, die Abwertung weiblich konnotierter Tätigkeiten, die Verweigerung von Reproduktionsarbeit, die Gender Pay Gap, misogyne und queerfeindliche Beleidigungen, Konsum frauenverachtender Medien, die Beteiligung an gegen FLINTA*  gerichteten Shitstorms, s*xuelle Belästigung bis hin zu V*rgewaltigung: all dies sind Handlungen, die sowohl individuelle Überhöhung als (cishetero) Mann, als auch eine generelle patriarchale Herrschaft garantieren sollen. Geschlechtsspezifische Gewalt ist nie ein Einzelfall, sondern hat System! Das bedeutet auch: sie zu überwinden, ist eine Aufgabe gesamtgesellschaftlicher Organisation!
Doch durch unter anderem feministische und queere Emanzipationskämpfe (genauso wie: Klassenkämpfe, jüdische Kämpfe, antirassistische Kämpfe…) ist die Unterdrückung von marginalisierten Menschen und damit einhergehende Überhöhung zum Glück ein gutes Stück erschwert worden – überwunden ist das Geschlechterverhältnis aber leider noch lange nicht.

5. Ich-Schwache Männer, die kaum etwas anderes haben als ihre auf der Unterdrückung anderer basierende Geschlechtsidentität, fühlen sich deshalb von (Queer)Feminismus konkret bedroht: „Die wollen mir mein Recht auf Diskriminierung wegnehmen – und somit die Möglichkeit, mich besser als die zu fühlen!“ Dies resultiert in einem affekthaften und falschen Hass auf diejenigen, von denen diese vermeintliche Einschränkung, für menschenfeindliche Handlungen eventuell Kritik oder Sanktionen erfahren zu können, ausgeht: progressive Aktivist*innen. Das Geraune von „Cancel Culture“ oder einer „kulturmarxistischen Woke-Agenda“, die einem den Mund verbieten würde, sind ausgesprochen mächtige Narrative in einem reaktionären Kulturkampf und bedienen gezielt eine gekränkte weiße, bürgerliche und patriarchale Vormachtstellung. Dieses Gefühl gekränkter Männlichkeit politisiert sich regelmäßig im Antifeminismus.

6. Antifeminismus ist eine reaktive Ideologie. Das bedeutet: seine Talking Points sind Reaktionen auf aktuelle feministische Kämpfe. Anfang des 20. Jahrhunderts war der Hauptfeind das Frauenwahlrecht, heute ist es primär die Emanzipation von geschlechtlich marginalisierten Menschen wie trans* oder inter*  Personen. Sein Ziel bleibt jedoch das gleiche: das Aufrechterhalten einer Welt mit traditionellen Geschlechterrollen, der heteronormativen Kleinfamilie und dem Mann als uneingeschränktem Vorherrscher. Antifeministische Strömungen, Ideologie und Strukturen gibt es überall: in der Politik, Wirtschaft, Religion, Kulturindustrie, etc. Antifeminismus und Sexismus argumentieren in der Regel biologistisch und essentialistisch mit einer vermeintlich „naturgegebenen“ Geschlechterordnung, die jedoch nichts anderes ist als ein leicht zu widerlegendes Herrschaftsinstrument.
Antifeminismus ist zudem eine auf Täter-Opfer-Umkehr basierende Verschwörungsideologie. Er suggeriert seinen Anhängern: „Wir leben schon längst in einer feministischen Diktatur, in der cishetero Männer unterdrückt werden und den Mund verboten bekommen!“ – Wenn dem wirklich so wäre, müssen wir uns zumindest weniger maskulinistisches Gejammer anhören.

7. Die vor allem im Internet propagierte Alpha-Männlichkeit verspricht eine Wiedergutmachung der narzisstischen Kränkung, dass das patriarchale Anspruchsdenken nicht immer Erfüllung erfährt. Durch den Konsum der „Redpill“, wie sich die aktuelle antifeministische Ideologie bezeichnet, soll aus dem durch Feminismus und LGBTQ-Agenda verweichlichten Loser wieder ein echter Kerl werden, der die unbotmäßigen Weiber und Queers wieder an ihren natur- oder gottgegebenen Platz verweisen kann. Frauen fungieren in dieser Ideologie ausschließlich als Untergebene, die den Mann durch Bewunderung und die Bereitstellung „weiblich codierter Güter“ (Aufmerksamkeit, Anerkennung, Sex, Reproduktionsarbeit…) in seiner Vormachtstellung bestätigen sollen, queere Menschen dürfen de facto nicht mehr existieren. Die konkreten Auswirkungen antifeministischer Ideologie in der Politik sehen wir gerade sehr deutlich in den USA, zum Beispiel durch die Abschaffung des bundesweiten Rechts auf Abtreibung oder die in Republikanischen Bundesstaaten etablierten Gesetze gegen die LGBTQIA-Community. In Deutschland vertreten die AfD, als auch Teile der Union oder FDP ähnliche Positionen. Gekränkte Männer zu frauenverachtenden „Alphatypen“ zu coachen ist inzwischen ein riesiger Geschäftszweig und der wegen Vergewaltigung und Menschenhandel angeklagte Andrew Tate nur die Spitze des Eisberges.

8. Da es sich bei Antifeminismus um eine Verschwörungsideologie handelt, ist es nicht verwunderlich, dass dieser regelmäßig als Türöffner in die radikale und extreme Rechte fungiert. Zwar sind nicht alle Antifeminist*innen rechtsextrem – aber radikal und extrem rechte Ideologie und Politik ist immer antifeministisch. Bereits der Nationalsozialismus hat die Behauptung verbreitet, dass Feminismus als auch Homosexualität eigentlich „jüdische Erfindungen“ seien, um die deutsche Rasse zu schwächen. Dieses Narrativ hat sich bis heute gehalten. Heute lautet der rechte Kampfbegriff „Kulturmarxismus“, was eine Chiffre für den angeblichen Einfluss der jüdischen Kommunisten der Frankfurter Schule ist.
Antifeminismus mündet regelmäßig in der  Verschwörungserzählung des „Großen Austausch“, dem sich zum Beispiel die AfD, die Identitäre Bewegung und zahlreiche Rechtsterroristen bedienen. Der Attentäter von Halle gab in seinem Livestream beispielsweise an, dass Feminismus für den Rückgang der weißen Geburtenraten verantwortlich sei – dahinter würden jedoch „die Juden“ stecken, die Frauen zum Feminismus und Männer in die Verweichlichung verleitet hätten. Deshalb könnten sich deutsche Männer nicht mehr gegen als hyperpotent und gefährlich dargestellte Migranten wehren, die von immer jüdischen konnotierten „Eliten“ nach Europa geleitet würden. In der Ideologie des „Großen Austausch“ fallen also Antifeminismus,Queerfeindlichkeit, Antisemitismus, Rassismus, und Antikommunismus zusammen.
Antifeminismus ist immer wieder Ursache für ganz konkrete Gewalt bis hin zu Terrorismus. Anschläge der misogynen Incel-Community haben weltweit inzwischen über 60 Menschenleben gefordert.

9. Es ist also falsch und ignorant, Antifeminismus und Misogynie als Phänomen des rechten Rands abzutun. Sie sind immanenter Bestandteil patriarchaler Verhältnisse und werden permanent reproduziert  – bewusst oder unbewusst.
Für Politik und Behörden sind feministische Belange oft viel zu wenig relevant. Dies liegt auch daran, dass sie selbst Teil des patriarchalen Systems sind, davon profitieren und es deswegen aufrecht erhalten. Dass Beispielsweise Gelder für Frauenhäuser fehlen, dass es keine (pro)feministischen Bildungsangebote an Schulen gibt, dass Beratungsstellen für queere Jugendliche die Gelder gestrichen werden, dass menschenverachtende Inhalte im Internet omnipräsent sind anstatt deplatformed zu werden, dass die Opfer patriarchaler Gewalt in der Regel alleine gelassen werden, sind bewusste politische Entscheidung gegen unsere Sicherheit und Selbstbestimmung!
Deshalb organisieren wir uns und gehen am 08. März gemeinsam auf die Straße: gegen Patriarchat, Kapitalismus und Faschismus. Bis das Patriarchat in Flammen steht – für den Feminismus!

10. Weiterführende Literatur:

  •     Blum, Rebekka: Angst um die Vorherrschaft
  •     Clemm, Christina: Gegen Frauenhass
  •     Connell, Raewyn: Der gemachte Mann
  •     Ginsburg, Tobias: Die letzten Männer des Westens
  •     Hedayati, Asha: Die stille Gewalt
  •     hooks, bell: Alles über Liebe
  •     Kaiser, Susanne: Politische Männlichkeit
  •     Kracher, Veronika: Incels
  •     Manne, Kate: Down Girl – Die Logik der Misogyne
  •     Theweleit, Klaus: Männerfantasien
  •     Pohl, Rolf: ALLES