Redebeitrag: Latkes*Berlin

Wir freuen uns sehr, heute hier zu sein und diesen Redebeitrag zu halten. Das ist die erste 8. März Demo, auf der wir seit langem sind.  Vielen Dank an die Orgagruppe, die diese Demo organisiert und möglich gemacht hat!

In den letzten Jahren haben wir uns auf den meisten feministischen, queeren und linksradikalen Demos nicht willkommen gefühlt. Das betrifft nicht nur den 8. März, sondern auch zum Beispiel den Kreuzberger CSD, die Hanau Gedenkdemos, den 1. Mai und viele andere Anlässe. Weil bei allen diesen Demos immer wieder Antisemitismus reproduziert wurde und es keine klare antisemitismuskritische Haltung der Organisator*innen gab. Wir hatten aber auch keine Lust, auf Demos zu gehen, hinter deren Inhalten wir als linksradikale queerfeministische Gruppe nicht stehen. Wir sehen nicht ein, dass wir entweder Antisemitismus in Kauf nehmen, oder mit Liberalen, Konservativen, Terfs, Swerfs oder Rassist*innen demonstrieren müssen! 

Diese unmögliche Situation beschäftigt uns schon seit Jahren, aber seit dem 7. Oktober ist für uns endgültig klar, dass es so nicht weitergehen kann. Antisemitismus wird schon viel zu lange in feministischen und queeren Kontexten reproduziert, ignoriert oder bagatellisiert. Nach dem 7. Oktober hat das alles eine neue Dimension erreicht, die uns komplett fassungslos macht. Das unsolidarische, teilweise explizit terrorverherrlichende Verhalten in feministischen Kontexten, die Empathielosigkeit, mit der Juden_Jüdinnen begegnet wurde, der offen und unverhohlen überall zu Tage tretende Antisemitismus, all das ist kaum auszuhalten. 

Besonders bitter ist es, wenn wir sehen, dass Feminist*innen lieber ihre zentralen Grundsätze über Bord werfen, als mit Jüdinnen solidarisch zu sein. Die unfassbar brutale sexualisierte Gewalt, mit der die Hamas am 7. Oktober Zivilist*innen angegriffen und als Geiseln verschleppt hat, wurde nicht nur von der Hamas selbst live gestreamt, sondern ist  inzwischen vielfach belegt. In Untersuchungen wurde gezeigt, dass systematisch sexualisierte Gewalt eingesetzt wurde. Nicht zuletzt gibt es Berichte von Überlebenden und von freigelassenen Geiseln. Unabhängig von allen anderen politischen Positionierungen müsste klar sein, dass diese Gewalt von Feminist*innen verurteilt werden muss.

Doch stattdessen wird diese Gewalt von einigen Feminist*innen geleugnet und als israelische Propaganda abgetan oder das Massaker der Hamas als legitimer Widerstand verklärt. Ein besonders krasses Beispiel ist die Alliance of internationalist feminists, die ja am 8. März seit Jahren eine Demo organisiert, auf der viele von euch sicherlich in den letzten Jahren waren, wir irgendwann auch, bis der Antisemitismus zu offensichtlich wurde. Die Alliance hat im Dezember ein Statement gepostet, in dem sie die sexualisierte Gewalt am 7. Oktober als Propagandastrategie bezeichnet, also als eine Erfindung Israels, um den sogenannten Genozid in Gaza zu rechtfertigen. 

Betroffenen zuhören, ihr Erleben zentrieren, ihnen die Definitionsmacht zuzugestehen? Fehlanzeige! Feminist*innen wie die Alliance of internationalist feminists opfern ihre eigenen feministischen Grundsätze, um weiter ungehemmt ihren Antisemitismus ausleben zu können. Das macht uns unglaublich wütend!

Eigentlich würden wir Zeit und Räume brauchen, um um die Opfer des 7. Oktober zu trauern, um die Erschütterung dieses Angriffs irgendwie zu verarbeiten, um damit klarzukommen, dass das alles immer noch weitergeht, dass die Hamas immer noch Geiseln in ihrer Gewalt hat, dass die Zahl der Toten und das Leid der Bevölkerung im Gazastreifen von Tag zu Tag zunimmt, und dass alles immer auswegloser und hoffnungsloser erscheint. 

Stattdessen sehen wir uns damit konfrontiert, wie sich in feministischen und linken Kontexten ein hemmungsloser Antisemitismus Bahn bricht und die Bedrohungen zunehmen. Im Alltag müssen wir ständig abwägen: Wo zeigen wir uns wie? Was kann ich auf dem Handy in der Bahn auf Insta anschauen? Über welche Themen in der Öffentlichkeit sprechen? Jüdische Symbole lieber nicht zeigen? Antisemitische Plakate lieber hängen lassen als beim Abreißen erwischt werden? 

Unsichtbarkeit und sich verstecken ist eine transgenerational geprägte kollektive jüdische Erfahrung. Viele Juden_Jüdinnen sind dazu nicht mehr bereit und zugleich schien ein Rückzug ins Private in den letzten Monaten unausweichlich. Trotzdem werden Antisemitismuserfahrungen von Juden_Jüdinnen weggeredet und nicht ernst genommen. Wir mussten uns anhören: man sieht es dir ja nicht an oder du trägst ja keine jüdischen Symbole, dann passiert dir schon nichts. Echte Empathie – Fehlanzeige. Juden_Jüdinnen wird vorgeworfen, dass sie sich unsichtbar machen können. Der Preis, den wir dafür zahlen, interessiert sie nicht. Dass dieses vermeintliche Privileg schon unsere Vorfahren nicht geschützt hat und was die transgenerationale Erfahrung des Versteckens mit uns macht, interessiert sie nicht. 

Viele Linke scheinen nicht in der Lage zu sein, Widersprüche und Gleichzeitigkeiten auszuhalten. Wenn rechte Politiker*innen sich auf Bühnen stellen und ihren Rassismus damit begründen, dass sie jüdisches Leben in Deutschland schützen wollen, ist für uns vollkommen klar, dass es ihnen nicht im geringsten um Juden_Jüdinnen geht. Wir erwarten von Linken, diese Funktionalisierung von Juden_Jüdinnen zu durchschauen. Für uns als linksradikale jüdische Gruppe ist es essenziell, Rassismus, Antisemitismus und Islamismus zusammen zu denken und sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen. 

Wir fragen uns: Wieso ist es nicht möglich, gleichzeitig solidarisch zu sein mit jüdischen Opfern eines beispiellosen Massakers und die Opfer des Krieges in Gaza zu betrauern? die Freilassung der Geiseln zu fordern, die Hamas zu verurteilen und die rechte israelische Regierung zu kritisieren? Für uns stellt das keinen Widerspruch dar und wir verstehen nicht, warum das vielen Leuten so schwer fällt. 

Viel zu lange wurde Antisemitismus in feministischen und queeren Kontexten ignoriert und bagatellisiert, um bestehende Bündnisse nicht zu gefährden. Angesichts des sich verschärfenden Rechtsrucks sind diese Bündnisse umso wichtiger, das darf aber nicht auf Kosten von Juden_Jüdinnen geschehen. Spätestens seit dem 7. Oktober ist es so klar wie nie, dass Bündnisse, die Antisemitismus nicht mitdenken, keine Orte für Juden_Jüdinnen sind. Außerdem sollte klar sein, dass die Auseinandersetzung mit Antisemitismus Grundsatz jeder linken Bewegung sein muss. 

Es macht Hoffnung zu sehen, dass gerade verstärkt neue Bündnisse entstehen, die Themen zusammendenken und nicht gegeneinander ausspielen. Wir müssen uns diese Räume zurückholen oder neu schaffen. Diese Demo ist ein super erster Schritt! Aber es ist noch verdammt viel zu tun.

Für einen solidarischen, antisemitismus-, rassismus- und islamismuskritischen 8. März! Für einen intersektionalen Feminismus, der wirklich alle mitdenkt! Für das gute Leben für alle!


Mehr von Latkes*Berlin gibt es unter https://latkesberlin.wordpress.com/