Redebeitrag: Emma

Seit ich mich erinnern kann, bin ich Fußball-Fan. Diese Leidenschaft teilen viele Menschen in dieser Stadt, in diesem Land, auf der ganzen Welt. Ein ganz normales Hobby also. Bis zu dem Tag, an dem ich Rollstuhlfahrerin wurde. Denn jetzt war ich nicht mehr nur Fußball-Fan, sondern Fußball-Fan im Rollstuhl. Und das führt schnell zu Problemen. Oder besser gesagt: die mangelhafte Barrierefreiheit in deutschen Fußball-Stadien führt zu Problemen. Viele ältere Stadien, in denen vor allem in den unteren Ligen gespielt wird, verfügen kaum oder gar nicht über eine rollstuhlgerechte Ausstattung. Doch selbst in Bundesliga-Stadien ist der Besuch als Rollstuhlfahrerin meistens kein Premium-Erlebnis. Oft ist es auch gar kein Erlebnis, da die Anzahl der Rollstuhlplätze nicht nur sehr gering ist, sondern sogar geringer, als oft durch lokale Vorschriften vorgesehen. Das führt dazu, dass manche Fans jahrelang keine Tickets für ihren Lieblingsvberein bekommen. Ironischerweise zwingt der durch Korruption und andere Mafia-Methoden bekannte europäische Fußballverband UEFA Deutschland dazu, für die dieses Jahr stattfindende Männer-Europameisterschaft die Stadien in puncto Barrierefreiheit für Rollstuhlfahrer_innen aufzurüsten. Statt diese Gelegenheit für einen nachhaltigen Wandel zu nutzen, entscheiden sich viele Stadion-Betreiber_innen aber leider dazu, die zusätzlichen Rollstuhlplätze nur temporär aufzubauen, mit dem erklärten Ziel, diese nach der EM wieder abzubauen.

Dies ist nur eines von vielen Beispielen, das deutlich macht, dass Behinderte in diesem Land Menschen zweiter Klasse sind. Vor über 20 Jahren, im Jahr 2009, nahm Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention an. Ziel dieser Konvention ist es eigentlich, das Leben von behinderten Menschen durch mehr Inklusion und mehr Barrierefreiheit zu verbessern. Es zeigt sich allerdings täglich, dass die Konvention das Papier nicht wert ist, auf dem sie geschrieben wurde. Denn immer noch werden behinderte Kinder in Sonderschulen vom Rest der Schüler_innen abgeschirmt. Noch immer arbeiten Menschen für einen lächerlichen Hungerlohn in Behinderten-Werkstätten. Noch immer baut die Deutsche Bahn Züge mit Stufen. Noch immer müssen behinderte Arbeitnehmer_innen darum kämpfen, ein für sie angepasstes Arbeitsumfeld zu bekommen. Noch immer gibt es in Pflegeeinrichtungen verschiedenste Formen von Gewalt. Noch immer sind unzählige Behörden, Geschäfte, Kinos, und alle anderen erdenklichen Gebäude weder für Blinde, noch für Rollifahrer_innen zugänglich. Noch immer wird Gebärdensprache nicht flächendeckend an Schulen gelehrt und taube/gehörlose Menschen so zur Assimilation in die hörende Gesellschaft gezwungen. All dies sind nur Beispiele und wenn wir uns zusammensetzen würden, würden uns sicher noch tausende mehr einfallen.

Leider werden behinderte Menschen auch aus feministischen und linken Räumen ausgeschlossen. Sei es dadurch, dass Veranstaltungen in nicht rollstuhlgerechten Locations stattfinden oder dass es keine Übersetzung in Gebärdensprache gibt. Es passiert auch oft, dass die Lebensrealitäten von chronisch kranken Menschen nicht ernst genommen werden. Dadurch entstehen unsichtbare Barrieren, die beispielsweise Personen mit Chronic Fatigue oder sozialen Ängsten daran hindern, an Treffen, Veranstaltungen oder Demos teilzunehmen. Auch die teilweise akademische Sprache schließt Menschen aus. Wenn wir Behindertenfeindlichkeit in der Gesellschaft bekämpfen wollen, können wir dies nur tun, wenn wir gleichzeitig auch die Barrieren in unseren eigenen Reihen wahrnehmen, analysieren und versuchen, sie so gut es geht abzubauen. Dies ist keine schlaue Analyse über Behindertenfeindlichkeit, kein Masterplan, wie wir die Gesellschaft und feministische und linke Räume inklusiver und barriereärmer machen können. Dies ist einfach nur eine wütende Anklage einer behinderten Person, die die Schnauze voll hat. Lasst uns gemeinsam über Barrieren und Behindertenfeindlichkeit sprechen und gemeinsam überlegen, wie es besser werden kann. Das ist der erste Schritt. Oder der erste gerollte Meter. Je nachdem.